Eine kurze Notiz über die äthiopische Kirchenmusik Die Ursprünge der äthiopischen Kirchenmusik sind noch immer sehr obskur. Sehr wenig wissenschaftliche Beschäftigung wurde bisher diesem Aspekt der äthiopisch-christlichen Kultur gewidmet, und ein riesiges Kompendium von Hymnen, bekannt als Degwa, bleibt noch immer unbehandelt und beinahe komplett unzugänglich, außer für manche der forschungsbegeistertsten Funktionäre der Kirche selbst.
Den äthiopischen Überlieferungen zufolge war es Yared, ein aksumitischer Priester der im 6.Jahrhundert n. Chr., die drei Grundtonarten der äthiopischen Kirchenmusik erschuf, namentlich Ge`ez, Ezl und Araray. Es wird behauptet, dass alle musikalischen Töne, „selbst die Geräusche der Tiere und die Lieder der Vögel, in diese Tonarten des Priester Yared fallen“. Zudem werden Yared übernatürliche Quellen der Inspiration nachgesagt für seine drei erfundenen Kirchenmusiktonarten, welche als besonderes göttliches Geschenk an das christliche Äthiopien verstanden werden: “Da Gott [sie] niemand anderen offenbarte, als dem äthiopischem Volk.“ Diese Traditionen werden in Äthiopien fast als religiöse Wahrheit akzeptiert, was offensichtlich jegliche Anstrengungen entmutigte nach einem historischen Ursprung der äthiopischen Kirchenmusik Ausschau zu halten.
Die Kirche in Aksum wurde im vierten Jahrhundert nach Christus als ein kleines Bistum des Patriarchats von Alexandria gegründet und die äthiopische Kirche behielt diesen abhängigen Status bis vor etwa 3 Jahrzehnten bei. Daher muss man Ägypten als die wichtigste Quelle der Inspiration für die vorherrschenden Aspekte der äthiopisch-christlichen Kultur betrachten. Soweit es die Kirchenmusik betrifft, ist es interessant zu bemerken das die drei Kirchenmusiktonarten von Yared einen Widerhall in den mittelalterlichen Aufzeichnungen der koptischen Kirche gefunden haben. In Yared´s Tonarten – Ge`ez, Ezl und Araray, wird in bestimmten Arten der religiösen Zeremonien gesungen, je nach dem ob die Anlässe im Kalender der Kirche traurig oder fröhlich sind. In einer sehr ähnlichen Art und Weise besitzen die Kopten ebenfalls verschiedene Lieder, welche sich auch nach der Form der Festivitäten, und dem Ablauf des Jahreszyklus entsprechend, verändern. Die fröhlichen Gesänge wurden bei den großen Feierlichkeiten wie Weihnachten und Ostern benutzt. Die betrüblichen und melancholischen Lieder werden in Zeiten der Trauer, wie etwa der Karwoche, gesungen.
Wie die Äthiopier, sehen die Kopten den Ursprung ihrer Kirchenmusik in der göttlichen Inspiration eines ihrer Heiligen. Dieser heilige Mann, sagen sie, war einst ein Laie und einfacher Töpfer; und er erfand ihre sakrale Musik als er später dem Kloster von St.Macarius beitrat. Grundsätzlich verläuft die Geschichte von der Entstehung der Ge`ez von Yared gleich.
Es wird erzählt, dass Yared in eine gewöhnliche Familie aus Aksum geboren wurde und er kein besonders brillanter Schüler der lokalen Kirchenschule war, wo er Schwierigkeiten hatte die einfachsten Leseaufgaben zu meistern. In einer Stufe seiner Entwicklung gab er alle Ambitionen seiner klerikalen Laufbahn auf; er heiratete und widmete sich einem mehr oder weniger säkularen Leben, in dem er sogar an einem Punkt plante einen Mann zu ermorden, welcher seine wunderschöne Frau begehrte! Aber er wurde langsam und unwiderstehlich von seiner spirituellen Berufung angezogen. Er lies die Welt hinter sich, zog sich als Einsiedler zurück in ein isoliertes Gebiet, verließ seine Familie und begann ein Leben der religiösen Hingabe und Kontemplation, in dem er stets versuchte seine geschaffenen Dichtungen zu verbessern. Eines Tages beim Wandern durch den Wald wurde er stark beeindruckt von einem kleinen Insekt welches versuchte einen großen Baum zu erklimmen.
All das scheint auf einen gemeinsamen Ursprung der sakralen Musik dieser beiden Kirchen hinzudeuten. Gleichwohl ist offensichtlich das der äthiopische Liturgiegesang [Zema] wesentlich weiterentwickelt wurde im Mittelalter. An diesem Punkt der Kulturgeschichte entwickelte die äthiopische Kirche langsam ein starkes Gefühl einer selbstständigen Identität und es gibt einige Anzeichen dafür, welche zeigen dass die Kirche von Alexandria in vielen Punkten der religiösen Praxis von der äthiopischen Kirche abweicht und umgekehrt. Dies wurde noch offensichtlicher nach der arabischen Eroberung Ägyptens, 641 n.Chr., als die Kopten sich immer stärker dazu gezwungen sahen öffentliche Manifestationen ihres christlichen Glaubens aufgeben zu müssen, während die Äthiopier weitere Ausgestaltungen ihrer religiösen Riten vollführten.
Als ein Resultat des wachsenden Drucks durch den Islam entlang der Küste des Roten Meeres im 17.Jahrhundert verlor Aksum an Bedeutung und wurde zunehmend isoliert vom Rest der christlichen Welt. Nur ein sehr schmaler Rinnsal an Kommunikation wurde mit Ägypten und dem heiligen Land aufrecht erhalten, welcher über sehr gefährliche Reiserouten und durch feindliches Gebiet führte. Es ist klar, dass in dieser Periode die Heilige Bibel, und vor allem das Alte Testament, begann den Äthiopiern als ein unerschöpflicher Quell der kulturellen Inspiration zu dienen. Als einzige, christliche Minderheit am Horn von Afrika, umzingelt von muslimischen und heidnischen Territorien, identifizierten sich die Christen von Äthiopien nun mit dem erwählten Volk Isra´el.
Diese lebendige Entwicklung wurde begeleitet von einem vorsätzlichen Versuch die kulturellen und sozialen Institutionen des Alten Testaments zu imitieren und zu übernehmen. Die höchste Form des Ausdrucks dieser religiösen und nationalen Tendenz ist die äthiopische Version der Legende der Königin von Sheba, die Kebre-Negest. Geschrieben im dreizehnten Jahrhundert, vollzog sich durch die Kebre-Negest schließlich eine Identifikation der äthiopischen Königsfamilie mit dem Haus der Könige von Dawit und Salomo von Isra´el.
Auch wenn Gedle Yared, fast sicher ein Werk des 15.Jahrhunderts ist, die darin präsentierten Traditionen und Entwicklungen reichen ohne Zweifel bis in aksumitische Zeiten zurück. Es gibt Anzeichen, wonach während der Mitte des 14.Jahrhunderts, als eine der größten Errungenschaften unter christlichen Äthiopiern die Verse der „Gesänge Yareds“ galten.
Der Geschichtsschreiber von König Beide-Maryam(1468-78) erweckt den Eindruck, dass die äthiopische Kirchenmusik Mitte des 15.Jahrhunderts einige ihrer späteren Charakteristika bereits angenommen hat. Bei einer Gelegenheit beschreibt er sowohl säkulare als sakrale
Mahlet ist die gebräuchliche Terminologie für die Gesänge von Yared und die gesamte Atmosphäre, wie sie vom Chronisten beschrieben wird, erweckt Bilder einer relativ modernen Form der musikalischen Aufführung in der äthiopischen Kirche. Es ist jedoch sehr schwer den spezifischen Entwicklungen der äthiopischen Kirchenmusik zu folgen, da relevantes Quellenmaterial knapp gesät ist. Keine der bis jetzt bekannten Degwa Manuskripte konnte vor das 14. oder 15. Jahrhundert datiert werden. Die Degwa ist eine Sammlung von Ge`ez Hymnen für all die Feiertage, Feste und Jahreszeiten des äthiopischen Jahres. Bis jetzt wurde keine ausgiebige oder kritische Studie an der Degwa unternommen.
Wie auch immer, in ihren zeitgenössischen Manifestationen reflektiert eine religiöse, musikalische Aufführung der dabtara wiederum eine andere und neuere Schicht in der Interaktion mit der Welt des Alten Testaments. Die Gesänge, Anrufungen und der Ritualtanz vor dem tabot besitzen eine starke Ähnlichkeit mit den Tänzen und Preisungen der Leviten vor der Bundeslade(cf. 2 SAM.6:2-5). Ein flüchtiger Blick auf die Instrumente der dabtara -welche gelegentlich auch ausdrücklich Leviten genannt werden – zeigt deutlich dass die Äthiopier viel Inspiration aus dem Alten Testament geschöpft haben. Die ganze Atmosphäre die während eines Gottesdienstes in Äthiopien erzeugt wird, erweckt Erinnerungen an die alte, biblische Szene überliefert im letzten Kapitel des Buchs der Psalmen: "Preiset Ihn mit dem Klang der Trompete;
Nichtsdestotrotz, wie bei allen anderen Aspekten der äthiopischen Geschichte und Kultur, ist es unmöglich einen vollständigen Eindruck der Evolution dieser musikalischen Tradition in Isolation von den umliegenden Entwicklungen der benachbarten Regionen zu erlangen. In der finalen Analyse, ist es nur möglich ein ganzheitlicheres Bild der äthiopischen Kirchenmusik zu zeichnen, wenn ein Vergleich mit dem antiken Ägypten, dem Nahen Osten, Zentralasien und sogar indischen Traditionen nicht gescheut wird.
Geschrieben von Professor Tadesse Tamerat
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